Betrachtungen zur Jahreslosung 2010 aus dem Johannes-Evangelium 14,1:
Welche Ereignisse gehen Joh 14,1 voran?„Euer Herz erschrecke nicht!
Glaubt an Gott, und glaubt auch an mich!“
Die Jünger im Wechselbad der Gefühle
Nachdem Jesus auf seiner letzten Reise nach Jerusalem seinen angesehenen verstorbenen Freund Lazarus in Bethanien von den Toten auferweckt hatte (11,39-44) – was riesiges Aufsehen nach sich zog (12,17-18) –, war er daraufhin unter dem vielstimmigen Jubel einer unübersehbar großen Menschenmenge – in Erfüllung einer der bedeutsamsten messianischen Weissagungen – auf einem Eselsfüllen (d.h. als Friedefürst) in Jerusalem eingeritten (12,12-16), sodass selbst seine ärgsten Widersacher bezeugen mussten: „Die Welt ist ihm nachgegangen.“ (12,19) Dies muss die freudigsten Erwartungen seiner Jünger auf seine baldige Gottesreich-Herrschaft geweckt haben.
Doch wie Totengeläute mussten unmittelbar darauf in ihren Herzen die Worte ihres Meisters klingen, dass „seine Seele erschüttert“ sei (12,27) im Angesicht der bevorstehenden Art seines Todes (12,32f). Zudem bezeichnete er abends beim Passah-Mahl offen den Verräter unter ihnen (13,18.26), der daraufhin die Gemeinschaft verließ, um sein finsteres Werk zu vollbringen (13,30). Als dann auch noch dem Wortgewaltigsten unter ihnen, Petrus, der sich als der Todesmutigste unter ihnen wähnte (13,17), vorausgesagt wurde, dass er den Meister noch in derselben Nacht dreimal verleugnen würde, und dieser nur noch „eine kleine Weile“ bei ihnen sein und sie verlassen würde, um zu gehen, wohin sie ihm nicht folgen könnten, auch wenn sie ihn suchten (13,33), mussten sich Furcht und Entsetzen unter den Elfen breit gemacht haben.
„Euer Herz erschrecke nicht!“ (auch: „Euer Herz werde nicht bestürzt!“; griech. tarasso eigentlich: „durcheinanderschütteln“, im übertragenen Sinn: „in Verwirrung bringen; in Unruhe, Aufregung versetzen“)
So richtete Jesus diese Zuversicht spendende Ermahnung, sich nicht im Innersten in Unruhe versetzen zu lassen, an Männer, deren Herz meilenweit von Sorglosigkeit und Ruhe entfernt war. Es muss für seine treuesten Nachfolger unvorstellbar gewesen sein, bald ohne ihn zu sein, der sie gelehrt, geleitet, geschützt und sie die gewaltigsten Zeichen und Machttaten schauen hat lassen, die jemals ein Prophet Israels gewirkt hatte. Um seinetwillen hatten sie alles verlassen und sich sicher gefühlt unter seiner Obhut wie unter eines Adlers Fittichen – und nun sollten sie alleine zurückbleiben, in einer Welt, die ihnen gegenüber – obwohl desselben jüdischen Bluts – feindselig geworden war, weil deren Beherrscher (siehe oben) ihren Meister hassten und aus der Volks- und Kultgemeinschaft ausstoßen wollten wie auch alle, die sich zu ihm bekannten (vgl. 9,34; 12,10.42).
Wenn der, dem alle Mächte untertan sind, uns zu dieser Zuversicht aufruft, nicht bestürzt zu sein, was immer auch kommen mag (und sei es der Tod vor Augen), haben dann nicht auch wir allen Grund, unser „Herz“, das Zentrum unseres physischen, emotionellen und geistlichen Menschen, im Glauben an ihn nicht beunruhigen zu lassen?
„Glaubt an Gott und glaubt an mich“ (Luther-Version) …
… könnte (aufgrund der Eigenheit des altgriechischen Grundtextes), auch so übersetzt werden: „Ihr glaubt an Gott – glaubt auch an mich!“ oder: „Ihr glaubt an Gott? Glaubt auch an mich!“ Offenbar haben wir hier ein weiteres Beispiel von Johannes’ Gewohnheit, sich so auszudrücken, dass es in mehr als einem Sinn verstanden werden kann, um uns dazu herauszufordern, darüber nachzudenken, was jede dieser Lesarten bedeuten könnte. Auch der zweite Satzteil könnte so gelesen werden: „Ihr glaubt auch an mich.“
Wir wollen aus Platzgründen diese Varianten der persönlichen Betrachtung des Einzelnen überlassen. Für die Jünger bedeutete dies in jedem Fall: Sie, die an den Gott ihrer Väter glaubten, konnten zwar „das Fleisch gewordene Wort Gottes“ sehen und fühlen, es hat „unter ihnen gewohnt“, und sie „schauten seine Herrlichkeit“ (1,14). Aber nun waren sie aufgefordert, über diese Erfahrungen der Sinnesorgane hinaus auch zu glauben, dass er der von dem Gott ihrer Väter gesandte und von all ihren Propheten geweissagte Erlöser war, ungeachtet dessen, was in den nächsten Stunden geschehen würde. Ja, gerade weil ihr Meister überliefert und – schuldlos – zum Tode verurteilt werden würde, konnte er der Erlöser der Welt und das „Lamm Gottes“ werden (1,36), welches stellvertretend die Sünde der Welt trägt, wie Jesaia 700 Jahre vorher vorausgesagt hatte (Jes 52,13-53,12). Das ist der Glaube an ihn, der den Glauben an den Gott ihrer Väter zur Erfüllung und Vollendung bringt. Das ist der Glaube, der sie befähigen sollte, den Sinn der für sie so verwirrenden Ereignisse und Schrecknisse der kommenden Stunden und Tage zu verstehen und als erlösenden Glauben zu begreifen. Und deshalb ist das der Glaube, der nötig ist, um „zum Vater zu kommen“, wie der Meister in den nächsten Worten offenbart (14,6) – ihnen und auch uns, die wir von dieser Freudenbotschaft erfahren.
Der Glaube an Jesus ist nicht eine „Option“, etwa eine unter vielen anderen beliebigen Möglichkeiten, sondern eine Heilsnotwendigkeit, denn durch keine Religion, Askese oder Meditation kann unser unruhiges Herz gereinigt, erneuert und für die Ewigkeit versöhnt und zur Ruhe gebracht werden als nur in dem, was Jesus ist und getan hat!
Als wichtige Ergänzung...
... sei angemerkt, dass die Übersetzung von (griech.:) „kai“ durch einfaches „und“ der Bedeutung der Aussage in Joh 14,1 kaum gerecht wird und deshalb hier meist mit „auch“ übersetzt wird (siehe obige Varianten). Darüber hinaus ist im Wörterbuch zum Neuen Testament von Walter Bauer* nachzulesen, dass kai außer dem verbindenden „und“ auch „zum Teil das Ganze hinzufügend: und überhaupt“ oder – umgekehrt – „zum Ganzen den besonders wichtigen Teil hinzufügend: und besonders“ bedeuten kann. Beides würde unserer Auslegung entsprechen und die Bedeutung des Glaubens an Jesus als Vollendung des alttestamentlichen Glaubens unterstreichen, sodass die Lesart naheliegen könnte: „Ihr glaubt an Gott – glaubt besonders (oder: überhaupt) an mich!“
Zusammenfassend …
… wird aus diesem Wort Jesu klar, dass es nicht um irgendeinen Glauben geht, der damals den Jüngern (und umso mehr uns heute) die Herzensruhe bringen konnte, die uns Menschen von Natur aus fehlt. Es geht nicht um irgendeine beliebige, austauschbare Vorstellung von Gott, etwa so, wie „Gott“ in verschiedenen, für „heilig“ gehaltenen „Offenbarungsbüchern“ beschrieben wird, oder Immanuel Kants Vernunfts-„Gott“ als eher moralisierendes Prinzip.
Es geht auch nicht einfach um den Glauben an (den wahren) Gott, während jemand meint, ihm auf seine eigenwillige, religionsvermengende Weise dienen zu können, so wie die Israeliten am Sinai meinten, Gott (hebr. Elohim), der sie aus Ägypten herausgeführt hatte, zu huldigen, indem sie (wie in Ägypten) ihn mit dem goldenen Abbild eines Kalbes identifizierten, das Aaron schuf und mit den Worten weihte: „Ein Fest für den HERRN (JHWH) ist morgen!“ (Ex 32,4-6.8). So war ebenso verwerflich, dem HERRN (JHWH) ein Bild zu machen im Hause des Ephraimiters Micha zur Zeit der Richter (Ri 17). Und selbst der „reine“ Glaube an den HERRN (JHWH), den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, aber ohne Jesus, ist nicht der rettende und das Herz zur Ruhe bringende Glaube, weil der wahre Abraham-Glaube an Gott auf nichts anderes ausgerichtet ist, als allein auf den Glauben an DEN verheißenen Nachkommen (Samen) Abrahams (nämlich Christus), der um unserer Sünden willen den Tod erlitten und so diejenigen von dem Fluch der Sünde losgekauft hat, die aus diesem Glauben sind (siehe: Gal 3,5-20!).
So wie diese Abschiedsreden Jesu (14-16) im ersten Vers eingeleitet worden sind, so schließen sie auch – tröstlich für alle, die Jesus im Glauben als HERRN und wahren Meister persönlich nachfolgen:
„In der Welt habt ihr Bedrängnis (griech. thlipsis, nicht: „Angst“!);
aber seid guten Mutes, ich habe die Welt überwunden.“ (16,33)* Bauer, W.:
"Wörterbuch zum Neuen Testament.
Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments
und der übrigen urchristlichen Literatur",
Verlag Walter de Gruyter, Berlin - New York 1971, 1780 S.
DDr. phil. h.c. Walter Bauer war ord. Professor der neutestamentlichen Theologie in Göttingen.
© www.benaja.at - verfasst 2009 und erstmals veröffentlicht 2010
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